Livestream in Lünen – Teil 1

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Dreihundert Bürgeranträge wurden in den letzten 15 Jahren in Lünen von engagierten Bürgerinnen und Bürgern eingereicht und im Haupt- und Finanzausschuss aufgerufen. Ein Beweis für die große Bereitschaft, Ideen zu entwickeln und die eigene Stadt nach vorne zu bringen. Je nach Thematik werden die Anträge in diverse Fachgremien weiterverwiesen.

Bis 1994 nannte man diese Form der direkten Demokratie Bürgerantrag. Dieser Sprachgebrauch hat sich bis heute gehalten. Offiziell heißt es Anregungen und Beschwerden und ist in der Gemeindeordnung NRW in Paragraf 24 verankert. 

Über einen wollen wir sprechen. Er entwickelt sich zu einer schier unendlichen Geschichte. Und so heißt er: 

Rats- und Ausschusssitzungen werden ab 2021 per Livestream ins Internet gestellt.

Das ist der Titel des Bürgerantrags, der mittlerweile ins 6. Jahr geht. Das ist rekordverdächtig und ein Ende ist nicht in Sicht. Im Kern geht es darum, dass interessierte Menschen nicht extra ins Rathaus pilgern müssen, wenn Kommunalpolitik auf dem Programm steht, sondern von zu Hause aus per Livestream die Sitzungen verfolgen können. Klar ist auch, dass es nicht allen Menschen möglich ist, zu bestimmten Zeiten das Rathaus aufzusuchen, um ihre Politiker bei der Arbeit zu erleben. Blockbuster-Sitzungen gibt es eben selten. Gerade jüngere Menschen könnten auf diesem digitalen Weg eher erreicht werden.

Der Zátopek unter den Anträgen.

Einige werden sich vielleicht erinnern. Emil Zátopek, die tschechische Ausdauer-Lokomotive, der in den 50er-Jahren von 5.000 m bis zum Marathon die Konkurrenz in Grund und Boden lief. Marathonfähigkeiten musste und muss auch der Livestream-Antrag entwickeln, sonst wäre ihm schon längst die Puste ausgegangen. Und so nimmt die schier unendliche, aber wahre Geschichte ihren Lauf.

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Am 4. März 2020 um 17:32 Uhr drohte ein Bürgerantrag die liebgewonnenen Gewohnheiten in der Lüner Politik aus den Angeln zu heben. Die Sitzungen des Rates sollten für die Bürgerschaft via Livestream auch von zu Hause aus verfolgt werden können. Gott sei Dank stand die nächste Kommunalwahl bereits in sechs Monaten an. Und so stand es in der öffentlichen Niederschrift:

Beschluss:

Der Haupt- und Finanzausschuss beschließt, den Antrag zurückzustellen und im neu gewählten Rat zu behandeln.

Über das weitere Vorgehen wolle man mich informieren, teilte mir die Stadt in einer E-Mail am 7.5.2020 mit.

Versprochen ist versprochen und wird auch nicht gebrochen.

Nachdem der neue Rat im Amt ist, erfahre ich … nichts! Komisch. Ich bringe mich höflich in Erinnerung. Mein E-Mail-Ansprechpartner ist leider abhandengekommen und fortan ist eine Frau für mich zuständig. Fast falle ich in Ohnmacht, als mir das Ratsbüro (wer ist das überhaupt?) am 16.12.2020 mitteilt, dass die Politik ein Zugriffsrecht auf die Themen habe und deshalb der Bürgerantrag eingestellt werde. Ein weiterer Anspruch leitet sich für mich nicht ab.

Wie bitte?

Als ich das lese, fühle ich mich wie ein Boxer, dem nach einem Leberhaken die Luft wegbleibt. Treffer, aber nicht versenkt. Erst wird mein Antrag in den nächsten Rat verschoben und dann soll er im Papierkorb landen. 

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Kaum zu glauben: Von Januar 2021 bis September 2022 höre ich nichts. Absolute Funkstille. Ich gehe ins Trainingslager. Wühle noch einmal alles durch. E-Mails, Protokolle, Telefonate, Notizen. Dann zünde ich die nächste Stufe der Kommunikation, glaube ich zumindest.

Brief an den Bürgermeister

Am 15.8.2022 schreibe ich dem Bürgermeister und rolle den Fall noch einmal komplett auf.

Sehr geehrter Herr Bürgermeister,

auf der Sitzung des Haupt- und Finanzausschusses vor 2 1/2 Jahren wurde mein Bürgerantrag „Übertragung von Rats- und Ausschusssitzungen per Livestream ins Internet“ besprochen. Der einstimmige Beschluss lautete damals: Mein Antrag solle im neu gewählten Rat behandelt werden (siehe Screenshot). Der neu gewählte Rat hatte seine konstituierende Sitzung am 5. November 2020. Es ist also jetzt fast 2 Jahre her, dass mein Bürgerantrag es nicht geschafft hat, weiterbehandelt zu werden. Dieses Thema haben sich in den letzten 3 Jahren weitere Bürger aufgegriffen, die in der Sache Gleiches wünschen.

Bereits im Januar 2021 brachten die Ratsfraktionen von Bündnis90/Die Grünen, GFL und FDP während der Sitzung des Haupt- und Finanzausschusses einen gemeinsamen Antrag zu demselben Thema ein. Nach meinem aktuellen Wissensstand sollen die Kosten sowie die Zugänglichkeit evaluiert werden. In meinem Antrag finden Sie eine umfassende Auflistung zahlreicher Städte und Gemeinden, sowohl innerhalb als auch außerhalb Nordrhein-Westfalens, die keine rechtlichen Bedenken hinsichtlich der Übertragung von Rats- und Ausschusssitzungen über Livestreams ins Internet hegen. Kann ich annehmen, dass Sie meinen Antrag aus März 2020 erneut zur Diskussion bringen werden? Dafür wäre ich Ihnen sehr dankbar.

Vielen Dank für eine kurze Rückmeldung.

Ich bin guter Dinge

Trotzdem habe ich ein flaues Gefühl im Magen. Mein Bürgermeister wird mich nicht hängen lassen, bin ich sicher. Man kennt sich, hat mal ein paar Worte miteinander gewechselt. Das wird schon. Dreimal muss ich dann aber doch noch nachhaken, um etwas zu erfahren. Nicht vom Bürgermeister selbst, dafür gibt es jetzt einen persönlichen Referenten, Christian Klicki. Der erklärt mir in einer E-Mail blumenreich, was alles nicht möglich ist, die Stadt aber an einem Modellprojekt teilnimmt, man ein Gesetz abwarten müsse und an einer großen Lösung arbeite. Er meint digitale und hybride Ratssitzungen. Dann wären da noch Datenschutz, entsprechende Software und man sei mit allen Ratsbüros im Kreis Unna im Austausch. Und ganz wichtig, man verfolge die aktuelle Entwicklung. Das hört sich für mich so an, als würde Livestreaming in Lünen exakt mit der Erreichung der Klimaziele 2050 zusammenfallen.

Was habe ich eigentlich noch nicht versucht? Ok, ich nehme Kontakt mit einigen Ratsmitgliedern auf. Vielleicht können die ja irgendetwas bewirken und mit der Verwaltung sprechen. Das Ratsbüro beruhigt mich und erklärt, dass „mein Thema“ nicht in Vergessenheit geraten ist. Besorgt fragt man mich, ob mein Antrag auf der nächsten Sitzung berücksichtigt werden soll, oder ob mir die zahlreichen Infos ausreichen. Man würde sich über eine Antwort freuen. Natürlich reichen mir die zahlreichen Infos nicht.

Im zweiten Teil „Livestream in Lünen“ betritt der große Manitu mit seinen Oberindianern die Bildfläche. Das wird ganz großes Kino. Der Kämmerer schaut kurz rein. Und ob es am Horizont wirklich weitergeht mit dem Livestream-Antrag? Wer weiß das schon? Wer  hören möchte, was genau in dem Bürgerantrag stand, der hört hier gerne in die Audio-Datei rein. Wenn Sie mögen, treffen wir uns in einer Woche an dieser Stelle wieder.

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